DAS LUFTSCHIFF

In einer Dachmansarde wie beim Dichter von Spitzweg in retro-futuristischer Zukunft sinniert eine alternde Dragqueen ihren Erinnerungen nach. Das ganze Leben ist in Koffern verpackt, und dies nicht nur aus Platzmangel der prekären Wohnsituation von Metropolis. Auch klimatisch ist die Stimmung apokalyptisch und auf den Strassen von Metropolis ist ein nicht näher bezeichneter Mob auf der Jagd nach Freaks, wie sie es nennen. Es gibt inzwischen, nach der Behandlung von Flüchtenden an Metropolis Grenze und all den Zäunen und Mauern aber auch für Flüchtende aus Metropolis heraus keine offenen Fluchtwege mehr. Es bliebe die Luft.

Nach und nach tauchen Freund:innen der Dragqueen in der darob immer voller werdenden Mansarde auf. Teils sind sie Puppen, teils Projektionen von Avataren in schwarz/weissem Mangastyle, teils flackernde Souvenir-Videos, die die imaginäre Freund:innen-Runde zeigt.

Die Freundïnnen, eine Fotografin ohne Gesicht (dafür anstelle des Gesichts mit einer Wolke aus Zigarettenrauch), ein Schwarzer Samuraï (der die Idee von einem Up-Load der Erinnerungen in eine Cloud bringt) und die zwei Zwillingsschwestern Sophie und *-ja (die sich ihre kosmetische Körpergestaltung in die eigenen Hände genommen haben) erzählen und singen. Sie erzählen und singen sich selbst.

In der sehr beengten Dachkammer alle im selben, kleinen Boot, oder eben in der Falle für den Mob gefangen, lehnen sie sich mit ihren Erinnerungen gegen das drohende Vergessenwerden auf. Es sind Geschichten von Verlorensein, Flucht und Gewalt und wecken ihre gegenseitige Solidarität. In einem letzten Rausch imaginieren die Dragqueen und die anderen Flüchtenden ein Luftschiff zu ihrer Rettung.

Da tritt die Dragfamily der Dragqueen auf. Eine ebenfalls zunächst imaginäres Beziehungsnetz, das aber im Leben der Dragqueen zeitweise zur sozialen Realität geworden ist.

Mit den Dragqueens kommt das Luftschiff.

TEXT X Schneeberger
KONZEPT, REGIE, TON Astride Schlaefli
PERFORMANCE Michael Wolf
Florence Schlumberger